Rhein Neckar Zeitung – Stichhaltige Untersuchungen zur Akupunktur (23.02.02)

Stichhaltige Untersuchungen zur Akupunktur
Institut für Medizinische Biometrie ist an der weltweit größten Akupunktur-Studie beteiligt – Helfen Nadeln gegen Dauerschmerzen?

Wie wirkt Akupunktur? Dr. Konrad Streitberger arbeitet in der Universitäts-Klinik für Anästhesiologie und ist so an der weltweit größten Akupunkturstudie „Gerac“ beteiligt. Foto: Alex

Von Ingeborg Salomon

Akupunktur ist ein heiß diskutiertes Thema. Wirken die kleinen Nadelstiche überhaupt, und wenn ja, wie? Und: Sind die Krankenkassen verpflichtet, Akupunktur zu bezahlen? Um diese und andere Fragen rund um die kleinen spitzen Nadeln zu klären, ist jetzt die weltweit größte Akupunkturstudie „Gerac“ (German Acupuncture Trial) in Deutschland angelaufen. Beteiligt ist auch das Institut für Medizinische Biometrie und Informatik der Universität Heidelberg. Die RNZ sprach mit dessen Leiter, Professor Norbert Victor, und seinem Team.

„Wir betreiben hier Evaluationsforschung“, stellt Professor Victor klar. Soll heißen: Die Wissenschaftler interessieren sich vor allem für die Frage, ob Akupunktur wirksam oder unwirksam ist. Das Hauptproblem dabei ist eine adäquate Kontrolle. In China würden 98 Prozent aller Akupunkturen als Erfolg verbucht, doch eine Kontrolle nach westlichen Standards erfolge dabei nicht, berichtet Dr. Konrad Streitberger. Der Mediziner hat sich sechs Monate lang in China intensiv mit Akupunktur beschäftigt und arbeitet an der Universitäts-Klinik für Anästhesiologie.

In den nächsten zwei Jahren soll in 7300 Praxen bundesweit bei insgesamt 500.000 Patienten die Wirksamkeit von Akupunktur untersucht werden. Die Heidelberger konzentrieren sich auf das Thema Schmerzen bei Kniearthrose, während in Bochum, Mainz und Marburg Kreuzschmerzen, Migräne und Spannungskopfschmerzen untersucht werden. In Baden-Württemberg gibt es 200 niedergelassenen Mediziner, die Akupunktur anbieten; 40 davon sind für die „Gerac“-Studie speziell geschult worden. Nur ihre Patienten können an der Studie teilnehmen.

Kleine Stiche…

„Kommt ein Patient mit Kniearthrose zu einem der teilnehmenden Ärzte und willigt ein, an der Studie teilzunehmen, wird er in eine von drei Kontrollgruppen eingeteilt“, erklärt Professor Victor das Verfahren. In den nächsten sechs Monaten wird er dann entweder mit der schulmedizinischen Standardtherapie wie Medikamenten plus Krankengymnastik behandelt oder mit traditioneller chinesischer Akupunktur oder mit unspezifischer Akupunktur Dabei werden zwar Akupunkturnadeln gesetzt, aber nicht an den spezifischen, für das Knie zuständigen Punkten.

Damit soll die Frage geklärt werden, ob Akupunkturnadeln bereits durch den Stich allem unabhängig vom Reizort wirken. Wichtig für den Erfolg der Therapie scheint auch die Zuwendung des Arztes zu sein. Aussuchen können sich die Patienten nicht, in welche der drei Kontrollgruppen sie kommen, jedoch können sie wechseln, wenn die Methode keinen Erfolg zeigt.

Ausgewertet werden am Institut für Medizinische Biometrie der Universität Heidelberg nur die Daten der Kniepatienten. doch können sich auch Patienten mit Migräne oder Rückenschmerzen nadeln lassen; ihre Daten leitet das Institut dann weiter. Sechs Krankenkassen stellen insgesamt 7,5 Millionen Euro für die Studie bereit, haben sie doch ein verständliches Interesse an deren Ergebnis. Seit Oktober 2000 ist Akupunktur bei einigen chronischen Schmerzformen als Therapie anerkannt. „Rund 300 Millionen Euro zahlen die Kassen Jährlich für Akupunktur“, so Professor Victor.

Bis zum Jahr 2004 muss die Studie beendet sein, rund 500.000 Einzelbehandlungsdaten sollen dabei erfasst werden; Hintergrund ist die 2003 anstehende Entscheidung des Bundesausschusses Ärzte und Krankenkassen über eine generelle Anerkennung der Akupunktur. „Wir hoffen auch auf eine Flurbereinigung im Feld der Akupunktur“, unterstreicht Prozessor Victor. Denn allzu viele schwarze Schafe tummeln sich auf diesem Markt; Akupunktur ist kein geschützter Begriff, eine gesicherte Weiterbildungsordnunq gibt es bisher nicht. „Wir stehen erst am Anfang des Weges“, zieht Professor Victor eine vorläufige Bilanz. Erst seit den 70er Jahren wird Akupunktur in Deutschland wissenschaftlich erforscht, etliche klinische Studien wurden seitdem durchgeführt, aber stets nur mit wenigen Teilnehmern. Eindeutige Ergebnisse fehlen bisher.

… mit großer Wirkung

Immerhin: In einem ersten Teil der „Gerac“-Studie wurden zwischen März und Oktober vergangenen Jahres über 40.000 Patienten mit chronischen Schmerzen von über 7300 akkreditierten Ärzten mit Akupunktur behandelt. Neun von zehn Patienten verspürten eine Besserung, unerwünschte Nebenwirkungen sind so gut wie überhaupt nicht aufgetreten, so das Ergebnis. Jetzt sind die Wissenschaftler gespannt, ob die groß angelegte Studie diese ersten Ergebnisse bestätigt.

o Informationen im Internet unter www.gerac.de Auskünfte über ein Call-Center in Bochum unter Telefon 0234-322-8882. Eine Liste der teilnehmenden Akupunkteure gibt es beim Institut für Medizinische Biometrie und Informatik, Im Neuenheimer Feld 305, 69115 Heidelberg.


Stichwort:

Was ist Akupunktur?

Bei der Akupunktur wird die Haut mit sehr fernen Nadeln an festgelegten Punkten gereizt. Nach der einigen 1000 Jahre alten traditionellen chinesischen Auffassung verlaufen über den Körper des Menschen zwölf paarige Meridiane sowie ein Mittelmeridian auf der Vorder- und Rückseite. In diesen Lebenslinien fließt die Lebensenergie Qi; auf diesen Meridianen liegen 361 Punkte, die den Zugang zu diesem System ermöglichen. Werden diese durch Akupunkturnadeln stimuliert, wird das Qi positiv beeinflusst und so Krankheiten gelindert. In Deutschland behandeln nach Angaben der Universität Bochum rund 40.000 Ärzte mit Akupunktur; davon haben 15.000 eine Grundausbildung und 1500 eine Vollausbildung.

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mit freundlicher Genehmigung
Rhein Neckar Zeitung, Ingeborg Salomon

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