Die Welt – Die meisten Akupunkteure schlecht ausgebildet (30.01.02)

In einer groß angelegten Studie soll die Wirksamkeit der Akupunktur wissenschaftlich überprüft werden
Von Norbert Lossau

Berlin – Die weltweit größte Akupunkturstudie „gerac“ (german acupuncture trials) ist in Deutschland angelaufen. In den kommenden zwei Jahren soll in 7300 Praxen bei insgesamt 500 000 Patienten die Wirksamkeit der traditionellen chinesischen Akupunktur erforscht werden. Dafür stellen mehrere Krankenkassen – unter anderen AOK, IKK und BKK – zusammen 7,5 Millionen Euro zur Verfügung.
„Bis heute ist kein eindeutiger Nachweis erbracht worden, ob die Akupunktur wirklich wirksam ist“, erklärte Professor Norbert Schmacke vom AOK-Bundesverband gestern vor der Wissenschaftspressekonferenz in Berlin, „in zwei Jahren wollen wir da eine klare Aussage haben.“
Die Kassen haben verständlicherweise ein Interesse daran, die von ihnen seit Oktober 2000 bei einigen chronischen Schmerzformen anerkannte Therapie mit den Nadelstichen wissenschaftlich überprüfen zu lassen. Derzeit geben die Kassen jährlich rund 300 Millionen Euro für Akupunkturbehandlungen aus.

„Noch nie wurden so viele Patienten in eine Akupunkturstudie einbezogen, selbst in China nicht“, behauptet Albrecht Molsberger vom Leitungsgremium der Gerac-Studie, doch sei es wirklich nicht einfach, die Akupunktur zu erforschen. Erreichen wollen die federführenden Gerac-Forscher der Unikliniken Marburg, Heidelberg, Mainz und Bochum dies nun mit einem „randomisierten Verfahren“.

Dabei sollen die Testpatienten nach einer zufälligen Auswahl entweder konventionell mit Medikamenten und Wärmebehandlungen oder aber mit einer Akupunktur behandelt werden. Der Clou ist nun, dass diese Akupunktur entweder tatsächlich traditionell chinesisch sein kann oder aber eine Pseudoakupunktur, die von den Gerac-Forschern entwickelt worden ist. Hier werden dann – ohne dass der Patient es wissen soll – andere Punkte auf der Haut gestochen.

„Es gibt durchaus die wissenschaftliche These, dass es letztlich egal ist, wo man die Nadeln setzt“, erklärt Schmacke die Motivation für diese außergewöhnliche Form der Placebobehandlung. „Schon der Stich an sich kann zweifelsohne physiologische Vorgänge im Körper auslösen“, ergänzt Molsberger. In telefonischen Interviews sollen die Patienten den Forschern dann später Auskunft über den Erfolg einer Behandlung geben.
Insgesamt leiden in Deutschland acht Millionen Menschen unter chronischen Schmerzen, weiß Schmerzexperte Professor Michael Zenz von der Berufsgenossenschaftlichen Klinik Bergmannsheil bei Bochum. Zugelassen zur Gerac-Studie sind jedoch nur Betroffene mit Kreuz- und Kopfschmerzen sowie Arthrosepatienten. Interessierte können sich im Web auf der Gerac-Homepage informieren.

Aus bisherigen Untersuchungen wisse man, dass jeder vierte Akupunkturpatient über ein Wärmegefühl klagt und dass bei fünf Prozent der Behandlungen Blutergüsse auftreten. In selteneren Fällen wird auch von Unwohlsein und Infektionen an den Einstichstellen berichtet, so Gerac-Sprecher Professor Hans-Joachim Trampisch. Eine mögliche Erklärung für diese Nebenwirkungen könnte in der Ausbildung der deutschen Akupunkturärzte liegen. „In Deutschland bieten rund 40 000 Ärzte diese Therapieform an, aber nur 16 000 von ihnen verfügen über eine adäquate Ausbildung“, behauptet Albrecht Molsberger.

„Es gibt die wissenschaftliche These, dass es letztlich egal ist, wo man die Nadeln setzt.“ Professor Norbert Schmacke, AOK-Bundesverband


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Die Welt, Ausgabe vom 30.01.2002

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